Nicaraguas erlebnisreicher Westen zwischen Aufbruch und Tradition
Extra: Stylischer Stoppover in Panama-City
Es surrt und schnattert auf dem baumreichen Platz mitten im Zentrum, ein auf- und abschwellendes, aber nicht unangenehmes Stimmengewirr, durchzogen von skurrilen Vogellauten aus den Baumwipfeln durchschneidet die Mittagshitze im Städtchen Granada. Ich genieße bei 35 Grad im Schatten die nicaraguanische Siesta auf einer Bank im Central-Park in dem kleinen Kolonialstädtchen im Süden des Landes und lasse die Tage meiner Reise vor meinem inneren Auge Revue passieren. Abenteuerreich war die Tour durch den Westen des Landes.
Granada, der beliebte Touristenort mit kolonialem Flair, der seinesgleichen sucht. Direkt gegenüber dem Central-Park erhebt sich mächtig in gelb mit roten Kuppeldächern die Kathedrale, 1529 direkt nach dem Eintreffen der spanischen Eroberer erbaut. Denn 1524 gründete Fransico de Hernandéz Cordoba die Ortschaft als Handelsstadt mit dem einst bedeutendsten Hafen Mittelamerikas. Von hier wurden Tabak und Kakao nach Guatemala, Panama und Peru verschifft. Tatsächlich ist jener Konquistador und Stadtgründer noch alltäglich in Nicaragua präsent. Denn nach ihm ist die Währung des Landes, der Cordoba benannt.
Noch heute ist der Glanz der Stadt deutlich zu erkennen. Ich schlendere durch die mit kleinen, bunten Häuser gesäumten Gassen. Fast mutet es an, wie die Kolonialstadt Antigua in Guatemala. Die Handschrift der einstigen, spanischen Kolonialherren ist unverkennbar. Schade, dass die ursprüngliche Kathedrale bei einem Brand 1856 zerstört wurde und der heutige Bau aus dem Jahr 1880 stammt. 1856, das Jahr in dem Granada auf Befehl des amerikanischen Kriegsherren und Abenteurers William Walker zerstört wurde. Eigentlich war dieser 1855 im nicaraguanischen Bürgerkrieg von der liberalen Kriegspartei zu Hilfe gerufen worden. Doch schnell übernahmen Walker und seine Söldner die Macht und avancierte zum Herrscher des Landes, der seine Hände sogar nach Honduras und El Salvador ausstreckte. Das war den dortigen Kolonialherren, den Engländern zu viel und sie richteten ihn 1860 kurzerhand hin.
Aber Granada hat noch mehr historische Bauten zu bieten. Etwa die Kirche „la Merced“, die allerdings den Brand 1856 überlebte und in barockem Baustil mit einem markant hohen Turm daher kommt. Von hier aus überblicke ich die ganze Stadt in ihrer beeindruckenden Schönheit. Das Kloster San Fransisco erstreckt sich weitläufig sichtbar in der Innenstadt. Denn die Anlage, einst gegründet vom Franziskaner-Bruder Toribio Benevante Motolina ist heute ein Museum und teilweise Hotelanlage. Und dann erblicke ich noch den Bahnhof der Stadt. Seltsam, dass es hier keine Züge gibt. Die gibt es schon seit 1987 nicht mehr, erklärt mir mein Reiseführer. Denn die Sandinisten, die damals wie heute regierten und regieren in Nicaragua, hielten Eisenbahnen für unpraktisch und teuer und verkauften Kurzerhand den gesamten Zugbestand an das Nachbarland El Salvador. Seither findet jeglicher Transport über die recht gut ausgebauten Straßen des Landes statt.
300 Inseln sind nicht genug – Bootstour durch die las Iseltas
Ganz in der Ferne entdecke ich noch den Nicaragua-See mit den „las Isletas“, mehr als 300 kleine Inseln, die einst beim Ausbruch des Vulkans Mombacho entstanden. Dort hatte ich bereits am Morgen eine abenteuerreiche Bootstour unternommen, an die ich mich nun erinnere.
Durch dichte Mangroven-Wälder geht die Fahrt mit dem schmalen, neunsitzigen Motorboot. Kraniche und schwarze Geier sitzen auf den Bäumen und an den Ufern. Ein Fischerboot kommt uns entgegen. Stolz zeigt uns einer der Fischer eine der gefangenen Doraden, die er an die örtlichen Restaurants verkaufen wird. Kleine Inseln mit einzeln Häuschen säumen die Wasserstraße. Teilweise findet man hier Hotelanlagen, Restaurants aber auch Einheimische wohnen noch wie einst auf den zahlreichen Inselchen. Und sogar kaufen oder mieten kann man einzelne Inseln noch. Plötzlich stoppt das Boot. Ein Spinnenaffe schwingt sich direkt vor mir von Ast zu Ast und bettelt um Nahrung. Diese hier lebenden Affen sowie auch einige Kapuziner-Äffchen kamen nicht auf natürlichem Weg hierher. Ein Affen-Halter auf einer der benachbarten Inseln hat sie einst vor über 10 Jahren hier ausgesetzt. Seitdem leben sie auf der Insel, ernähren sich von Mangos und touristischen Zuwendungen und erfreuen den Reisenden auf dem Weg durch die Kanäle. Entspannt genieße ich die etwa einstündige Bootsfahrt durch die grüne Hölle und lasse die Natur auf mich wirken.
Der Duft einer Zigarre dringt in meine Nase, während ich im Central-Park meinen Gedanken nachhänge. Ach ja, die Zigarren, auch Puros genannt, denke ich bei mir und schweife zurück an den Beginn meiner Reise, in die Zigarrenstadt Estelli im Norden des Landes.
Blauer Dunst oder der Charme der Zigarre in Estelli
Ich treffe Sergio Torres, Marketingleiter der Zigarrenfabrik, die ich besuche. Es wundert mich wenig, dass er eine Zigarre im Format Churchill im Mund hält und eine weitere in der Hemdtasche trägt.Rauchen gehört hier einfach zur Unternehmenswerbung. Ich beginne meinen Rundgang durch die Manufaktur. Draußen auf den Feldern nahe der Fabrik hatte ich ja bereits die Tabakernte wahrnehmen können. Seit 1865 beschäftigt man sich hier mit dem Blauen Dunst. Mehr als 600 Angestellte in verschiedenen Produktionsprozessen verarbeiten den Tabak.Ich sehe zunächst wie der Tabak getrocknet wird, dazu decken Arbeiter den bereits getrockneten Tabak mit Planen luftdicht ab. Im nächsten Saal werden die Blätter sortiert nach Größe. Fleißige Arbeiterinnen legen dabei Blatt für Blatt übereinander. Eine mühevolle und zeit-aufreibende Arbeit. Der Tabak, so erklärt mir Sergio, stammt nicht allein aus Nicaragua, auch aus Kuba kommt Tabak zur Verarbeitung hierher. Der Bedarf ist einfach zu groß für den heimischen Anbau. Der fermentierte Tabak wird anschließend 72 Stunden tiefgekühlt, um alle Bakterien und möglichen Schimmel zu töten.
Und nun wird es spannend. Ich gelange in den Saal, in dem die Zigarren gerollt werden. Karibisches Flair stellt sich bei mir ein. Bilder von kubanischen Frauen, die lachend die Zigarren auf ihren Schenkeln rollen sausen durch meinen Kopf. Aber wir sind in Nicaragua. Hier läuft alles etwas disziplinierter ab. Gleichwohl nicht weniger aufregend. An 20 langen Tischreihen sitzen Mädchen und Jungen, die eifrig beschäftigt sind, die Zigarre zu konstruieren. Manch einer von ihnen genießt dabei selbst das Produkt seiner Erzeugung und zieht neben der Arbeit an einer guten Zigarre. Die Herstellung ist gar nicht so einfach. Sechs hochqualitative Tabakblätter benötigt man für das sogenannte Bunching, das Bündeln. Es folgt das Rollen und der Finish, bei dem die Zigarre am Ende der Rolle abgeschnitten und die fertige Zigarre glatt gestrichen wird. Danach folgt noch die Qualitätskontrolle im Vakuum-Tester, denn nur die besten Zigarren verlassen das Haus. Die Zigarre ist nun keinesfalls rauchfertig. 60 Tage muss sie in einem Humidor bei 20 Grad Celsius und 67 Prozent Luftfeuchtigkeit gelagert werden, bevor der etwa einstündige Genuss beginnen kann. Dem stehen vier Stunden Arbeit gegenüber, die zusammen kommen von der Ernte bis zur fertigen Produktion. Sergio zieht an seiner Zigarre und bläst kleine Wölkchen in die Luft. Der blaue Dunst ist sein Leben. Auch wenn es kein gesundes Leben ist, ein Genuss ist es in jedem Fall. Und die Freude, diese aufwendige Produktion zu sehen, ist dem Besucher der Tabakmanufaktur gewiss.
Kaffee ohne Kultur – Nicaraguas Verhältnis zum Genuss
Jetzt einen guten Kaffee zur Zigarre, schießt es mir durch den Kopf. Ja warum denn nicht? Fast um die Ecke, auch in Estelli, finden sich zahlreiche Kaffee-Verarbeitungsbetriebe. Angebaut wird dieser im Hochland. Hier wird der Kaffee für Europa und die USA hergestellt. Auf Fair-Trade-Basis, wie man mir versichert. Auf der Plantage eintreffend rollt sich vor mir erst einmal ein riesiges, beiges Feld mit gewaschenen Kaffeebohnen der Sorte Arabica aus, die hier zum Trocknen in der Sonne liegen. Das dauert 3-10 Tage. Sollte es regnen, werden die Felder abgedeckt. Frauen und Männer schaufeln die Bohnen in Säcke zu 50 Kilogramm und schleppen sie auf LKW.
Dann geht es zur Röstung. Und woher weiß ich, ob der geröstete Kaffee dann auch trinkbar ist? Ich treffe Fatima Lopez Rodrigues. Sie ist seit 20 Jahren Barista und testet den Kaffee auf seine Qualität. Das Procedere ist dabei spannend zu beobachten. Denn der Kaffee in sechs Geschmacks- und Stärkevarianten wird aufgebrüht und zur Verkostung bereit gestellt. Dann geht Fatima an die Arbeit. Ein pfeifendes Geräusch ertönt, als sie den Kaffee vom Löffel ansaugt im Mund prüft und wieder ausspuckt. Auf Reife, Süße, Balance und Stärke wird hier kontrolliert. Wie das funktioniert? Talent, Talent erklärt mir Fatima. Anders kann sie es nicht ausdrücken. Und tatsächlich. Als ich mich versuche an der Prüfung, stelle ich wohl den Stärkegrad fest, aber für die Süße und Balance fehlt mir einfach die Reife.
Dann folgt eine seltsame Erkenntnis.Obwohl Nicaragua ein Land ist, in dem der Kaffee quasi zum Lebensalltag gehört, genießen die Menschen hier tatsächlich keine hohe Qualität. Allerorts erhalte ich gefriergetrockneten Aufguss- Kaffee serviert. Denn der Bohnen-Kaffee ist hier zu teuer, der wird exportiert. Tatsächlich kostet ein Pfund Kaffee in Nicaragua zwischen 150 und 300 Cordoba, das sind fünf bis 10 Euro. Selbst für Europäer ein teurer Spaß.
Es zieht mich dann aber noch ins Hochland, nach Matagalpa, um zu sehen, wo der Kaffee angebaut wird. Ich treffe auf Mausi. Der niedliche Name gehört einer etwa 60jährigen Dame, die halb-indigen, halb deutsch ist und die Plantage „Selva Negra – Schwarzwald“ ihres Urgroßvaters als Betrieb und als Hotelanlage führt. Ihr Urgroßvater kam 1888 und kaufte die 450 Hektar große Plantage von dem Deutschen Hans Pöschel, dessen Verwandte wiederum in Deutschland einen Namen in der Tabakbranche haben.
Mausi führt mit ihrem Mann den Betrieb seit den 70ern als eine Art Erlebnis-Hotellerie. Kleine, einfache Häuschen an künstlichen Seen als Unterkünfte und der aktive Plantagenbetrieb auf dem gleichen Gelände, zusammen mit der recht großen Urwaldfläche, in der Naturwanderungen mit Tierbeobachtung unternommen werden können. Hier lässt sich was erleben. Denn wo kann ich schon einer echten Kaffee-Ernte beiwohnen, wenn die leuchtend roten Kaffeekirschen einzeln von den Ästen der Pflanzen gepflückt werden. Ein Gefühl der Exotik und der weiten Ferne steigt in mir auf. Hier also beginnt, was fern in der Heimat täglich in meiner Kaffeetasse endet. Atemberaubend.
Indigene Handwerkskunst und der Stoff aus dem die Träume sind
Noch immer sitze ich in Granada im Central-Park. Nun beobachte ich die Stände mit traditionellen Kunsthandwerks-Artikeln. Ich entdecke eine Fülle von bunten Stoffen und Stoffprodukten. Sofort gehen meine Gedanken zurück in das kleine, indigene Dorf El Chile bei Matagalpa. Seit 1987, nach dem Ende der Unruhen in Nicaragua werden hier auf traditionelle Weise Webkünste praktiziert. Frauen aus dem Dorf, alle mit indigenen Wurzeln weben hier Stoffe in zahlreichen Farbkombinationen. Und was da alles hergestellt wird! Taschen, Tischtücher, Mützen, Kleidung. Ich spreche mit Hazel Judith Zamara Garcia, eine 17jährige Weberin, die noch zur Schule geht. Seit zwei Jahren arbeitet sie in dem Betrieb, in den sie über zwei Tanten gekommen ist. Die Arbeit macht ihr Spaß, ist eine Abwechslung zum kargen Alltag des Dorfes weit draußen vor der Stadt. Nach Matagalpa kommt sie gar nicht oft. Sie bleibt lieber im Dorf, in ihrer vertrauten Umgebung, Tradition und Familie sind ihr wichtig. Aber dann rückt sich doch heraus. Gerne würde sie mal den Ozean sehen. Der Pazifik ist zwar nur 80 Kilometer entfernt, aber für eine Dorfbewohnerin ist es fast unerschwinglich, dort hin zu kommen. Dafür arbeitet sie auch in der Weberei, um mal eine kleine Reise zu unternehmen. Um sich ihre bescheidenen Träume zu erfüllen. Und sie webt weiter den Stoff, aus dem ihre Träume sind, der ihre Träume erfüllen kann.
Güegüense – Folklore und die Tradition des Masken-Tanzes
Wieder betrachte ich die Kunsthandwerks-Stände in Granada. Eine Ansammlung von Masken fällt mir auf. Masken, die weiße Gesichter von Spaniern zeigen. Ich denke an Masaya, der Ort, in dem der Masken-Tanz seinen Ursprung hat und zum bedeutendsten, traditionellen Kulturgut gehört. „El Güegüense“ heißt der tradionelle Drama-Tanz, auch als Theaterstück vollzogen, bei dem Paare mit einer Maske und einem Kostüm die spanischen Kolonialherren imitieren und parodieren. Diese Kunst stammt aus dem 16. Jahrhundert. Der Name Güegüense wiederum rührt von dem indigenen Wort „huehue“ her, das so viel wie weisser Mann bedeutet, aber auch weiser Mann heißen kann. Während die Tänze auch mit zwei Charaktären präsentiert werden können, beinhaltet das Theaterstück meistens genau 14 Figuren, die feste Rollen innehaben. Dabei wird ein Mix aus spanisch und Nicarao, auch Pipil genannt, gesprochen in diesen traditionellen Stücken. Kritisiert und parodiert wird zumeist das aristokratische Leben der ehemaligen Kolonialherren. In moderner Form werden heute auch aktuelle, politische Ereignisse wiedergegeben. Allein die Kostüme und die Art der Bewegungen, die ich mir in der tänzerischen Darbietung anschaue, sind eine Augenweide für den Betrachter und bilden einen erhebenden Moment ob der farbenfrohen Kleidung und der eleganten Tanzkunst.
Es raucht und dampft rund um León – Nicaragua, das Land der Vulkane
Mehr Nicaragua will ich erleben. Denn das Land gilt als Zentrum der Vulkane, nirgendwo in Mittelamerika gibt es so viele, teils noch aktive Vulkane. Ich passiere auf dem Weg in die Kolonialstadt León den 1297 Meter hohen Schichtvulkan Momotombo, weithin sichtbar durch eine dünnen Rauchsäule, die von seiner Spitze aufsteigt. 2015 brach er zuletzt aus. Auf der anderen Seite erhebt sich mit 1061 Metern etwas kleiner, aber dafür um so aktiver der Telica, der ebenfalls ein Schichtvulkan ist und seinen letzten Ausbruch 2011 hatte. Am aktivsten ist wohl der Masaya-Vulkan, bei dem man noch heute die Lava über den Kraterrand fließen sehen kann. Der nur 605 Meter hohe Vulkan hatte seine letzte, starke Eruption 2008 und liegt mitten im Masaya-Nationalpark. Insgesamt 19 aktive und inaktive Vulkane weist Nicaragua auf, eine unvorstellbare Anzahl auf so kleinem Raum, denke ich bei mir, während ich die sonst eher eintönige Straße in Richtung Leon passiere.
León – Granadas kleine Schwester oder die Stadt, die sich zweimal gründete
Eigentlich mutet der Ort an, wie die kleine Schwester von Granada. Etwas versteckt, obwohl Provinzhauptstadt, etwas weniger prachtvoll, obwohl von kolonialen Gebäuden und einer recht großen Universität geprägt. 1524 wurde die Stadt von einem alten Bekannten gegründet. Nämlich Fransico de Hernandéz Cordoba, der auch in Granada den Grundstein legte. Allerdings hatte der Ort nicht ganz so viel Glück wie Granada. Denn 1609 war es mit der ersten Version der Stadt vorbei, als der Vulkan Momotobo ausbrach und alles in Schutt und Asche legte. Die Ruinen des alten León heißen heute León Viejo, eine UNESCO-Stätte. Man gründete die Stadt etwa 30 Kilometer entfernt neu. Hier erlebte sie ihre Blüte in den 1830er Jahren, als León zur Hauptstadt Nicaraguas avancierte. Das Glück und die damit verbundene, wirtschaftliche Blüte währten allerdings nur bis 1858, dann wurde die Hauptstadt nach Managua verlegt. Noch heute zeugen Gebäude wie die markante Kathedrale, von dessen Dach sich ein eindrucksvoller Weitblick über das Umland eröffnet, von der einstigen Größe der Stadt. Und nicht zuletzt war León Residenz des berühmten, lateinamerikanischen Dichters Ruben Dário, dessen 150. Geburtstag 2017 pompös gefeiert wurde, denn er starb genau hier 1916. ich schlendere über den Markt, der direkt hinter der Kathedrale liegt. Nicht ganz so lebendig wie in Matagalpa geht es hier zu.
Dennoch hat León eine bewegte Revolutions-Geschichte aus den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, die auch auf zahlreichen Graffitis rund um das Studenten-Viertel sichtbar ist. Hier lebt traditionell die liberale Elite und wird von der Freien Sandinistischen Liberation-Elite Nicaraguas FSLN regiert und war auch in den Revolutionsjahren 1978/79 geistiges Zentrum der Bewegung. Zudem wurde während der Diktator Anastasio Somoza Garcia 1956 von dem Dichter Rigoberto López Pérez erschossen. Dieser kam als Kellner verkleidet dem Herrscher sehr nahe.
Auf dem Markt pulsiert das Leben
Märkte in Lateinamerika sind ein Erlebnis für sich. In Estelli und in Matagalpa durfte ich Zeuge des bunten und lebendigen Treibens werden. Schwere Überlandbussse treffen auf dem zentralen Busbahnhof neben den Markthallen ein. Bereits hier beginnt das bunte Treiben, denn das be- und entladen der Busse, die schier alles transportieren, ist ein Erlebnis. Die Beifahrer springen auf die Busdächer und laden das Gepäck und die Waren der Reisenden auf und ab. Ob Kiste, Sack oder schwere Güter, alles kommt mit. Und wenn notwendig bleibt der Beifahrer während der Fahrt oben auf dem Dach sitzen und hält alles fest.
Die Markthallen muten an wie ein einziger Ameisenhaufen. Überall krabbelt und lebt es. Hier bieten Frauen schreiend Obst feil, dort hackt ein Metzger mit schwerem Beil ein eine Keule entzwei, dass das Blut fließt. Wieder an der nächsten Ecke bieten Tuchhändler bunte Stoffe an, Kleidung in allen Varianten, Schuhe und Tischwäsche hängen in engen, dunklen Gängen dicht an dicht zum Verkauf während im nächsten Gang bereits an zahlreichen Essensständen gekocht wird. Da findet man Gajo Pinto, das typische Gericht aus Reis und Bohnen, welches vor allem zum Frühstück und Abends genossen wird. Oder Baho, Bananenblätter gefüllt mit Cecina, das ist Rindfleisch mit grüner Banane, Zwiebel, Tomate und grünem Pfeffer, alles zu einer Mischung verkocht als Mittagsgericht. Gerne gegessen wird zum Frühstück auch Nakatamal, ein Gericht mit Bananenblatt und Reis, Tomate und Chili.
Nicaraguas Seele oder die Erfindung der Langsamkeit
Allmählich Hunger bekommend sitze ich noch immer im Central-Park in Granada. Meine Gedanken schweiften umher, durchkreuzten eine lange Reise von Nord nach Süd im Westen Nicaraguas. Viele Menschen habe ich getroffen, Eindrücke aufgesogen und die Mentalität zu verstehen versucht. Zu kurz ist die Zeit in fünf Tagen, um das Land kennen zu lernen, die unberührte Pazifikküste mit schwarzem Lavastrand, die Atlantikküste zur Karibik, mit ihren ausgedehnten, wilden Nationalparks und karibischen Stränden, mit seiner schwarzen Bevölkerung, den Garifuna, die mit den Engländern als Kolonialmacht des Westens dorthin kamen.
Doch das Herz Nicaraguas habe ich erfasst. Und in den wenigen Tagen ist mit eines klar geworden, die Erfindung der Langsamkeit muss ihre Wurzeln in Nicaragua haben. Die Menschen sind ruhig und gelassen, trotz ihrer teils blutigen und revolutionären Vergangenheit. Sie haben ihren eigenen Kopf und ihre eigene, innere Uhr. Pläne zu schmieden, Termine zu verabreden. All das funktioniert hier nicht. Denn Dinge werden erledigt, wenn es passt. Wer einfach mal runter kommen will und sich das Land auf die gelassene Art anschauen möchte, ist hier genau richtig. Zeit sollte man dafür einplanen, denn davon gibt es in Nicaragua mehr als genug. Und jeder nimmt sie sich. Nicaragua ist das Land für Abenteurer, für Entdecker, Backpacker, die Mittelamerika in ihren Facetten kennen lernen möchten. Zu wenig, um Mittelamerika zu verstehen finden man hier und zu viel, um alles in kurzer Zeit zu begreifen. Nicaragua ist kein Land für eine Durchreise, zu viel verpasst man dabei. Doch schon nach wenigen Tagen ist mir klar: Dieses Land repräsentiert beispielhaft die unerhörte Leichtigkeit des Seins.
Zwischenstopp in Panama – zwischen Tradition und Aufbruch in Panama-City
Was wäre eine Reise nach Mittelamerika, wenn man die lange Flugzeit nicht für einen Zwischenstopp im wohl angesagtesten Land des Kontinents nutzt. Bei einem Aufenthalt von mehr als fünf Stunden ist dies problemlos machbar. Panama. Das kleine und junge Land am Zipfel Mittelamerikas, das Land des Kanals und der Gradwanderung zwischen Tradition und explosivem Aufstieg zum Wirtschafts- und Finanzzentrum. Dieses einzigartige Erlebnis gönne ich mir zum Ende meiner Reise.
Das Land hat den geographischen Vorteil, dass man beide Ozeane, den Pazifik und den atlantischen Ozean mit der Karibik sehr leicht erreichen kann. Panama-City liegt auf der atlantischen Seite zur Karibik und bietet dabei einen traumhaften Anblick, der mir gleich beim Verlassen des 25 Kilometer vor der Stadt gelegenen Flughafens entgegentritt. Doch nicht nur die Szenerie einer azurblauen See ist es, die mich als Reisenden auf Anhieb begeistert. Die skurrile Wolkenkratzer-Kulisse des jungen Zentrums erweckt den Eindruck einer pulsierenden Metropole, wie sie in Mittelamerika ihres Gleichen sucht. Von weitem erkenne ich auch die „Puente de las Americas“, jene markante Brücke, die über den Kanal führt und beide Teile des Landes miteinander verbindet.
Das Land ist jung. Erst 1821 erklärte es seine Unabhängigkeit vom spanischen Kolonialherrn und schloss sich Großkolumbien an. Doch erst 1903 wurde es vollständig unabhängig, bis auf eine kleine Ausnahme. Denn Die USA erhielten das Recht, den Kanal zu bauen und erlangten dadurch auch die Hoheitsrechte um das Kanalgebiet herum. Panamanesen war es streng verboten, dieses Gebiet zu betreten. Erst 1999 erhielt Panama diese US-Militär-Destrikte zurück. Vorausgegangen war dem noch eine Bombardierung von Panama-City im Jahr 1989, bei der die USA versuchten, den damaligen Diktator Manuel Noriega zu stürzen.
Auf meinem Weg in die Stadt sehe ich deutlich noch das Viertel, in dem Ende der 80er die Bomben einschlugen. Vergangen sind diese Zeiten, vergessen dagegen nicht. Auch die Bauweise der ehemaligen US-Militärzone ist noch deutlich sichtbar und unterscheidet sich klar von der Architektur Panamas damals wie heute.
Panama hat sich im Lauf der letzten Jahrzehnten rasant entwickelt. Die heutige Skyline ist gerade einmal 20 Jahre alt. Banken, Casinos, Hotels oder Boutiquen findet man im neuen Zentrum von Panama-Stadt. Wesentlich kleiner, so erkenne ich auf meiner Tour durch die Stadt, ist die Bauweise der 70er Jahre, denn die Häuser hatten damals höchstens 20 Stockwerke, heute sind 100 Etagen und 200 Meter Höhe keine Seltenheit. An Skurrilität mangelt es den neuen Wolkenkratzern nicht, so sticht besonders die sogenannte „Schraube“ hervor, ein gewindeartig gebautes Hochhaus. Aber auch der Tower des derzeitigen US-Präsidenten Donald Trump, der sich ganz an der Spitze der Stadt zur See hin befindet ist deutlich erkennbar durch seine segelförmige Bauweise. Dieses Gebäude ist beherbergt ein Hotel und Büros.
Eine Zeitreise oder die sichtbare Geschichte in Panama-City
Doch Panama hat auch eine sichtbare Geschichte. So ist das Ruinengelände der ehemaligen, vom Piraten Henry Morgan 1671 zerstörten Stadt, genannt Panamá la Vieja, im Norden an der Pazifikküste noch recht gut erhalten und gehört zum UNESCO Welterbe. In Panama-City selbst sieht man ebenfalls noch zahlreiche Stätten der ehemaligen Kolonialherren. Die Ruinen des alten spanischen Forts sind deutlich sichtbar und lohnen einen Besuch. Mich zieht es in Richtung Altstadt Casco Vejo Hier wurde 1673 die Stadt nach der Zerstörung durch die Piraten neu gegründet. Der Weg dorthin führt über eine achtspurige Straße, die Panamerikanische Autobahn.
Ich erlebe eine Zeitreise auf dem Weg in die Altstadt. Und die ist wahrlich noch nicht lange in so gutem Zustand wie heute. Wurde dieser Stadtteil im 18, Jahrhundert durch einen Stadtbrand zerstört, stammen die meisten Gebäude aus dem 19. Jahrhundert. Doch bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts war das Viertel ein Moloch, geprägt durch Kriminalität und Armut. Erst mit der Aufnahme des Stadtteils Casco in die UNESCO-Welterbeliste 1997 begann man zu restaurieren und zu sanieren. Ich schlendere durch malerische Gassen mit sauber renovierten Kolonialgebäuden. Kleine Galerien und Kunsthandwerkerläden reihen sich an gemütliche Cafés und touristische Souvenirshops. Hier ticken die Uhren langsamer als in der pulsierenden Neustadt. Ich besuche die „Catedral Metropolitana“, das wichtigste katholische Gotteshaus der Stadt. Hier wird im kommenden Jahr 2018 das Zentrum des Weltjugendtags sein. Auch die La-Merced- Kirche zeigt eindrucksvoll die Verbindung von alt und neu, denn ähnlich wie bei der Kathedrale Metropolitana wurde an den alten Mittelbau der neu aufgebaute Turm direkt angesetzt. Beeindruckend kommen auch die Ruinen der ehemaligen Klosterschule „Iglesia de la Compania de Jesuso“ daher, die in der renovierten Altstadt wie ein Mahnmal wirken. Auch der berühmte Gold-Altar der Kirche San José begeistert mich. Immer wieder entdecke ich zwischen den neu renovierten Gebäuden Reste der alten Fassaden. Die Symbiose des Wandels ist verblüffend.
Doch wo leben die Einheimischen? Mein Stadtführer führt mich südlich der Altstadt in ein Viertel mit schmucklosen Fassaden. Vorbei geht es an Graffities, die an die Revolution der indigenen Bevölkerung im Jahr 1925 erinnern, Damals kämpften die Angehörigen der sieben in Panama lebenden Stämme für ihre Gleichberechtigung. Ich begegne auf meinem Weg durch die Stadt allerorts indigen gekleidete Frauen und Männer, die hier zum Straßenbild gehören. Ohnehin ist Panama ein Kessel aus vielen Kulturen. Vor allem aus Kolumbien und Venezuela kommen viele Einwanderer. Auch Karibik-Bewohner sind hier zahlreich vertreten. Dieser Kultur-Mix prägt auch die Musik des Landes. Neben Salsa wird der aus Kolumbien stammende Cumbia getanzt, Reggae ist mindestens so populär wie der aus Haiti stammende Haitano. Panama ist ein pulsierender Kessel Buntes, in dem es viel zu erleben gibt. Auf dem Rückweg von der Altstadt Casco Vieja besuche ich noch den Fischmarkt. Hier bietet sich mir eine Augenweide des quirligen Lebens. Da wird gefeilscht, gehandelt und gekauft. Fische und Meeresfrüchte aller Art füllen die Tische, dass sich die Balken biegen. Es riecht zu meinem Erstaunen gar nicht nach Fisch, das liegt wahrscheinlich an der Fangfrische an diesem Morgen. Rund um den Fischmarkt bieten Gastronome die Fänge des Meeres in köstlicher Zubereitung an, dass einem das Wasser im Mund zusammenläuft. Das Wort Panama bedeutet nicht umsonst „Überfluss an Fischen“. Und Ceviche, das traditionelle, kalte Fischgerichte auf Limonen-, Zwiebel- und Korianderbasis gehört hier einfach auf jeden Tisch.
Mehr könnte ich erleben in Panama-City, zum Beispiel die Besteigung des Hausbergs „Cerro Ancón“, der nicht mehr befahren werden darf.Von dort eröffnet sich ein traumhafter Blick über die Stadt. Auch den „Calzado de Amador“entlang spazieren ist ein Erlebnis. Das ist der palmengesäumte Damm, der die Metropole bei einem Unfall im Kanal schützen soll. Hier sieht man auf der einen Seite Schiffe vor der Silhouette von Panama auf ihre Passage warten. Auf der anderen Seite fahren diese dann in den Kanal ein- und aus.
Doch der Stoppover in Panama-City währt nicht ewig und bei hohem Verkehrsaufkommen muss man durchaus 30 Minuten von und bis zum Flughafen rechnen. Ich genieße bei der Ausfahrt aus der Metropole noch einen letzten Blick auf die sagenhafte Skyline und freue mich auf einen intensiveren Besuch in Panama, bei dem ich auch das natur- und artenreiche Umland von Panama-City erkunden will. Panama lohnt sich, ist stylisch und originär zu gleich. Auf engstem Raum finden sich zahlreiche Aktivitäten und Kulturen, die reichhaltige Erlebnisse versprechen.
Tipps und Info
Nicaragua
Wie kommt man hin?
Der kürzeste Weg führt von Deutschland aus über Miami nach Managua. Dieser Weg schließt allerdings einen Zwischenstopp in Panama aus. Empfehlenswert ist daher ein Flug über Madrid und Panama nach Managua. Hier ist vor allem die Airline Iberia führend.www.iberia.com
Währung: Die Währung in Nicaragua ist der Cordoba (1:30), US-Dollar werden aber allerorts gerne gesehen.
Zeitverschiebung: In Nicaragua herrscht eine Zeitverschiebung von -6 Stunden gegenüber der MEZ.
Einreisebestimmungen: Visa: Für deutsche Staatsbürger genügt ein Reisepass mit mindestens 6 Monaten Gültigkeit. Achtung: Bei der Einreise werden 10 US-Dollar in bar am Einreiseschalter fällig.
Hotels
Estelli: Hier lohnt sich die Unterkunft im Hotel Don Vito, einem einfachen aber sehr sauberen und gut eingerichteten 3-Sterne-Hotelwww.hoteldonvito.com
Matagalpa: Hier sollte man im Zentrum im Matagalpa Inn nächtigen.
Es lohnt zwar ein Besuch der Kaffeeplantage Selva Negra (Schwarzwald) und ein Besuch des Restaurants. Zur Übernachtung sind die Unterkünfte aber nicht geeignet. http://www.selvanegra.com/en/
In Leon bietet das Hotel Austria eine gute Übernachtungs- und Speisemöglichkeit direkt im Zentrum
https://www.hotelaustria.com.ni
Granada: das Hotel Casa San Fransico in einer ehemaligen Klosteranlage ist eine eindrucksvolle und ausgezeichnete Unterkunft mitten im Zentrum, in der man gut wohnen, aber nicht gut speisen kann. Zum Essen sollte man im Zentrum eine der zahlreichen Bars und Restaurants aufsuchen, wie etwa das Café de los Suenos.
http://hotelcasasanfrancisco.com
undwww.cafedellossuenos-nicaragua.com
Attraktionen
Tabak-Manufaktur Placencia in Estelli: http://www.plasenciacigars.com
Kaffee-Verarbeitung in Beneficio Prodeoop www.prodecoop.com
Indigenes Dorf El Chile: https://vianica.com/tours/28
Kunsthandwerkermarkt in Masaya:https://vianica.com/attraction/3/handicrafts-market-in-masaya
Bootstour bei den Islas de Granada:
https://vianica.com/attraction/29/boat-trip-among-the-granada-islets
Panama
Bei einem Stoppover in Panama von mehr als 5 Stunden lohnt eine City-Tour. Von Touren auf eigene Faust ist abzuraten, da die Verkehrslage von Nicht-Einheimischen oft falsch eingeschätzt werden kann. Das kann zum Verpassen des Anschlussflugs führen.
Einreise: Reisepass mit 6 Monaten Gültigkeit. Bei der Einreise werden i.d.R. 5 US-Dollar Touristen-Gebühr fällig, bei Weiterreise am selben Tag werden diese aber nicht selten erlassen, wenn man sein Weiterreise-Ticket vorzeigt.
Zeitverschiebung: – 6 Stunden gegenüber der MEZ
Währung: es gilt der Balboa, der aber 1:1 an den US-Dollar gekoppelt ist. Die Zahlung mit US-Dollar ist ratsam und sehr verbreitet
Touranbieter: Der lokale Anbieter Panama Roadtrips ist ein kleiner und junger Touranbieter, der individuelle Touren ab 2 bis 10 Personen bietet. Er ist absolut seriös und zuverlässig und geht auf die Kundenwünsche direkt ein. Ansprechpartner: Miguel Ibarra
Restaurant in der Altstadt: Café Unido: www.cafeunido.com
Erlebt und berichtet von:
Journeylist – Philip Duckwitz
Mitglied in der Vereinigung Deutscher Reisejournalisten (Journalistenkreis)
Mitglied im Deutschen Fachjournalisten-Verband (DFJV)
Publiziert am: Dienstag, 24. Januar 2017 (4000 mal gelesen)
Copyright © by KIR ROYAL – GENIESSERJOURNAL. Bayern bewußt genießen.
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