Alles Algarve
Eine verkorkste Gegend und ein Inselparadies vor Portugals Küste
Die alte Korkeiche ist schon 150 Jahre alt. Das erste Mal wurde sie geschält, als sie 25 Jahre alt war. Hier in São Brás nahe Portugals Küste ist sie beheimatetet in einem steinigen Garten nahe der Fabrik, in der ihre Rinde verarbeitet wird. Damals war sie noch rank und schlank und wies einen Umfang von etwa 30 Zentimetern auf. Heute ist sie dick und stämmig mit einem Umfang von fast einem Meter fünfzig. Im Alter wird man dick. Die Menschen werden sie verstehen. Danach ging es ihr alle neun Jahre an die Rinde. Denn der Kork, den sie liefert, ist begehrt. Mehr als 100 Kilo hat die Korkeiche schon geliefert. Noch viermal Schälen und dann geht sie in Rente. Mehr als zehnmal wird ein Baum nicht geschält. Die beste Qualität der Rinde erhält man bei der zweiten, dritten und vierten Ernte. Viele Erzeugnisse stammen aus diesem Material, das eigentlich aus nichts weiter besteht, als abgestorbenen, dünnwandigen und mit Luft gefüllten Zellen, die Zellulose und Suberin enthalten. Dank des Suberins ist das Material wasserabweisend. Die Mischung gestaltet das Material zu einem wärme- und schallisolierenden Stoff, aus dem sich so einiges herstellen lässt. Und die alte Korkeiche ist dankbar, dass ihr rötlicher Korpus von dem abgestorbenen Material befreit wird und sie wieder Luft zum Atmen hat, neue Rinde kann sich bilden. Ich stehe bewundernd vor der großen alten Eiche, die Schatten bietet, Rinde liefert und in ihrem Leben schon viele Arbeiter kommen und gehen sah, die sich an ihrer Außenhaut zu schaffen machten. Und nicht wenige Besucher stehen jeden Tag staunend vor dem mächtigen Baum, der hier seiner Bestimmung nachgeht.
Von der Platte zum Korken – ein langer Weg
Ich setze meinen Weg fort in die nahegelegene Fabrik, in der die Korkplatten erst mal im Freien gelagert. Gewaltig sind die Stapel der gebündelten Platten, die hier auf dem Fabrikhof aneinandergereiht. Auf Paletten stehen. Mindestens sechs Monate ohne direkte Bodenhaftung muss die Korkplatte bei guter Lüftung und Trockenheit so im Freien lagern. Erst dann beginnt die eigentliche Verarbeitung. Es folgt die Dämpfung und die Lagerung auf Edelstahlpaletten. Die Platten verlieren bei diesem Prozess ihre Wölbung. Nun beginnt das „Seasoning“, das sind enzymatische Prozesse, die den Kork erst zur Verarbeitung befähigen. Das dauert wieder sechs lange Monate. Erst dann werden die Korkplatten etwa eine Stunde bei 100 Grad gekocht im heißen Wasser. Dabei tritt Schaum aus den Platten, das ist die natürliche Entgiftung. Schadstoffe und der Mikro-Florabefall werden reduziert, außerdem erhält das Material eine höhere Elastizität und mehr Volumen. Es dampft und brodelt, als die Fabrikarbeiter die Platten aus dem Sud hochfahren. Ein anderer Arbeiter schneidet die Platten grob zurecht. Wieder dauert es drei Wochen bis zum nächsten Schritt. Die Platten müssen trocknen. Hierbei wird dem Kork etwa sieben Prozent Luftfeuchtigkeit zugeführt, damit sich keine Pilze bilden erklärt mir meine Reiseleiterin Sofia Carrusca lebhaft vor Ort. Ich schaue mir den nächsten Schritt in der Nachbarhalle der Fabrik an. Ein erfahrener Arbeiter sortiert die Platten nach ihrer Qualität. Die besten Stücke werden für Flaschenkorken verwendet. Die schlechteste Konsistenz wird später zu Fußboden und Dämmplatten verarbeitet. Das Flaschenkorken-Material schneidet man in Streifen, die wenig breiter sind als der anschließend daraus entstehende Korken. Und dann wird endlich der Korken aus der Platte gestampft und anschließend desinfiziert zur Verwendung. Die Stanzreste verarbeitet man zu Granulat. Er gilt als der beste Kork der Welt. Hier im Süden nahe Portugals Küste. 80 Prozent aller Korkprodukte in Europa stammen von hier höre ich von Sofia. Wie lange doch die Herstellung des Korks dauert, denke ich bei mir. Und wie schnell die Flasche entkorkt und der aufwendig hergestellte Korken entsorgt ist. Künftig werde ich diesem wertvollen Produkt mehr Respekt entgegen bringen resümiere ich beeindruckt aus meiner Besichtigung bevor ich mir im farbrikeigenen Shop ansehe, was sich außer dem Flaschenkorken noch alles aus dem vielseitigen Material herstellen lässt. Taschen, Schmuck, sogar Lampen und Kleidung, Dosen, Tischuntersetzer – was für ein vielseitiger Stoff, den die alte Korkeiche draußen im Garten da liefert schmunzle ich.
Nach so einem verkorksten Nachmittag zieht es mich hinaus auf das Meer. Denn wild und romantisch ist Portugals Küste, die rote Sand-Algarve, grün ist die langgezogene Feldalgarve. Doch was liegt davor? Ein fast unentdecktes Inselparadies, das auf Erkundung wartet.
Ria Formosa – der unentdeckte Naturpark vor Portugals Südküste
Die Lagunenlandschaft vor dem Ort Olhão hat es mir angetan. Das 15.000 Seelen zählende Städtchen verfügt nicht nur über den größten Hafen der Algarve und ist ein geschäftiger Fischerort, Olhão ist auch das Tor zu einer der traumhaftesten Landschaften in der Region und zu einigen schönen Stränden. Farbenfroh und lebendig kommt die kleine Gemeinde daher. Olhão liegt im Herzen des sich im Mündungsgebiet befindenden Naturschutzgebiets Ria Formosa, einer verschachtelten Landschaft aus Lagunen, Kanälen, Salinen und Sandbänken die durch eine Reihe Düneninseln vom Atlantik getrennt sind. 1755 ist diese Landschaft infolge eines heftigen Erd- und Seebebens entstanden.
Bevor ich ins Boot steige und hinaus in die Lagunenlandschaft steuere, bummle ich noch ein bisschen durch die Markthalle am Hafen. Der Fischmarkt kündigt sich meiner Nase bereits von weitem an. Da wird gefeilscht, geboten und Fisch in Mengen präsentiert, das einem die Augen übergehen. Kauzige Fischhändler wiegen eifrig ihren Fang auf traditionellen Waagen ab und bringen sie an die Kundschaft. Lautstark diskutieren zwei Einkäufer mit dem Händler über die Qualität des Fisches. Und in der ganzen Halle breitet sich ein reges Treiben aus an diesem Morgen. Ich wechsle in die Gemüse- und Gewürzhalle. Hier treffe ich auf das genaue Gegenteil an Stimmung. Bucklige Mütterchen sitzen friedvoll inmitten ihren Obst- und Gemüsewaren, lächeln liebevoll jeden Besucher an und verkaufen nichtsdestotrotz eifrig ihre fruchtigen Waren. Eine Honighändlerin lockt mich zu ihrem Stand und verführt mich zum Kauf des süßen Erzeugnisses. Ein Gewürzhändler steht lachend inmitten seiner duftenden Kräuterwaren. meine Nase genießt die Luft in dieser Halle ob der starken Strapazen in der vorherigen Fischhalle.
Eingestimmt auf das Erleben von Natur und Kultur besteige ich das Boot, das bereits am Hafen mit Käpt´n José auf mich wartet. Er ist schon lange Skipper und fährt das ganze Jahr zu den Inseln hinaus. Ist das ein Seelenverkäufer, denke ich bei mir, hoffentlich komme ich mit dieser knarrenden Nussschale, die ob hier kastenartigen Form eher wie ein schwimmender Schuhkarton anmutet, am anderen Ufer an.
Doch kaum bin ich auf das Meer hinaus gefahren, lenkt mich die atemberaubende Landschaft bereits von dem desolaten Zustand des Bootes ab. Kein Wunder, dass die Ria Formosa zu einem der sieben Naturwunder Portugals zählt. Denn der 18.000 Hektar umfassende Naturpark ist durch fünf Barriereinseln und zwei Halbinseln vom offenen Atlantik geschützt. Auch wenn das Wasser innerhalb der Lagunenlandschaft das Gleiche ist, wie draußen auf dem offenen Atlantik, so ist das Gewässer hier ruhig. Ich entdecke Sandbänke, auf denen Fischer Austernbänke pflegen und abernten. Kleine Boote bringen sie dabei von Bank zu Bank. Französische Austern werden hier zum Wachsen hin befördert, bevor sie zur Ernte wieder zurück nach Frankreich gelangen. Eigentlich ein Skurriles Verfahren, das mir Skipper José da schildert. Aber die Konditionen für das Austernwachstum sind hier einfach besser als anderenorts.
Der Artenreichtum, besonders die Fauna ist einzigartig in dieser Gegend. Besonders jetzt im beginnenden Winter halten sich hier zahlreiche Vogelarten auf. Flamingos, Purpurhühner, Kraniche, Kormorane, Austernfischer sind hier ebenso zu Hause wie unter Wasser die größte Seepferdchen-Population Portugals.
Ich erreiche die Ilha de Faro, deren korrekter Name eigentlich Península do Ancão lautet. Ein malerisches Dörfchen mit gedrungenen, aber liebevoll bemalten Häuschen erwartet mich. Es gibt einen kleinen, begehbaren Hauptweg. Autos gibt es hier nicht. Man benötigt sie auch auf der kleinen Insel, die eigentlich eine Halbinsel ist. Denn an ihrem westlichen Zipfel ist die mit dem Festland verbunden. Ich befinde mich am östlichen Teil der Insel. Der menschenleere Strandabschnitt Barrinha erwartet mich. Ein echter Tipp, denn hierher verirren sich nur wenige Urlauber. Nur eine schmale Wasserrinne trennt mich von der Nachbarinsel Ilha da Barreta, besser bekannt unter dem Namen Ilha Deserta, die verlassene Insel. An ihr fahre ich dicht am Ufer vorbei, außer Sand und Dünen scheint es hier nichts zu geben. Tatsächlich ist diese 10 Kilometer lange Insel auch unbewohnt. Hier lassen sich ausgezeichnet Vögel und Meeresvegetation beobachten. Direkt an diese Insel schließt sich die Insel Culatra an. Eine echte Fischerinsel, die keine Touristen beherbergt. Bis vor wenigen Jahrzehnten gab es hier kein elektrisches Licht und kein fließendes Wasser. Erst 1993 kam die Elektrizität, 2006 ein Gesundheitszentrum und 2009 Wasserleitungen. Hier erlebe ich originäres Flair der Ria Formosa. Der Hafen ist über und über gefüllt mit kleinen Booten. Auf den Stegen sitzen Fischer, die ihre Netze flicken. Eine romantische Stimmung überkommt mich. Die kleine Insel bietet alles, was die Bevölkerung hier braucht. Es gibt sogar eine Schule und einen Fußballplatz. Ich spaziere die Dorfstraße entlang. Wieder nehme ich die kleinen, liebevoll bemalten Häuschen wahr, die eingeschossig die Straße säumen. Fernab jeder Kultur des Festlands scheine ich hier zu sein. Und in der einzigen Gasstätte am Hafen herrscht reges Treiben. Natürlich kommt Fisch auf den Tisch und eine kräftige Fischsuppe. Die Dorfbevölkerung trifft hier auf Inselbesucher und es entsteht eine lebendige Stimmung, die ich in mich aufsauge und jeden Augenblick genieße.
Ich fahre noch einmal mit dem Boot um die Insel herum, um die größte Sehenswürdigkeit zu besuchen. Dieser Teil, der Ilha do Farol heißt, gehört eigentlich zur Insel Culatra und bildet ihren westlichen Teil. Natürlich hätte ich auch laufen können, zwei Kilometer am Strand entlang hätten mich zu Fuß zu dem weithin sichtbaren Leuchtturm Santa Maria gebracht, der als Wahrzeichen der Gegend gilt. 1851 wurde er erbaut und seitdem mehrfach technisch erneuert.
Ich treffe Guillermo, den Leuchtturmwärter. Er hat einen ausfüllenden Beruf. Jeden Morgen steigt er die 220 Stufen seines Leuchtturms hinauf und zieht die Vorhänge vor den Fenstern der Leuchtfeuer zu. Die Fresnellinsen sollen vor dem Sonnenlicht geschützt werden. Und abends das gleiche Spiel andersherum. Aber diese Aufgabe ist längst nicht die Einzige, die Guillermo hier erledigt. Mit dem Motorboot fährt er hinaus und kontrolliert regelmäßig die Leuchtbojen zwischen Fuseta und Quarteira. Alle vier Jahre wechselt Guillermo seinen Posten und wird an einen anderen Leuchtturm versetzt. Damit sich keine Routine einschleicht. Während andere Leuchttürme längst automatisiert wurden, ist der Santa Maria noch wie anno dazumal in Betrieb. Der Beruf des ehemaligen Marine-Soldaten muss doch ein Traumjob sein, denke ich bei mir. Und Guillermo liebt seine Aufgabe auch. Der Blick in die Ferne, die Touristen, die im Sommer vorbeikommen, all das gefällt ihm. Er braucht nicht viel und hat auch seine Familie im Leuchtturmwärter- Haus am Fuße des Turms bei sich. Nur im Winter, da wird es manchmal einsam auf der Insel. Denn in der Siedlung auf der Ilha do Farol wohnen nur zwei weitere, ständige Siedler.
Beeindruckt von der Lebensweise der Bevölkerung vor der Küste der Algarve tuckere ich mit dem Boot zurück nach Olhão.
Dieses Küstenerlebnis ist so ganz anders, als das, was viele Reisende jeden Sommer hier suchen und erleben. Hier spielt der Tourismus noch eine vergleichsweise geringe Rolle. Denn die meisten Touristen zieht es in die Badeorte westlich von Faro, nach Albufeira, Lagos oder Portimão. Ruhe und unverfälschte Natur, einzigartiges Flair, die Nähe zur Bevölkerung und ihrer hergebrachten Lebensweise, das ist es, was ich hier in der Region zwischen Olhão und Tavira finde. Entspannung auf einem ursprüngliche Niveau. Wer diese Art von Urlaub sucht, ist hier am Ziel angekommen. Unberührte Strände, Fisch und Meeresfrüchte aus der Region auf der Speisekarte. Das ist es, was Portugal in dieser Region ausmacht, Erholung pur. Und die Sucht nach mehr Meer an der Algarve steigt bei solch einer Atmosphäre ganz sicher.
Wie kommt man hin
Von Deutschland aus fliegen unterschiedliche Lowcost-Airlines nach Faro.
So bietet zum Beispiel die irische Gesellschaft Ryanair Direktflüge ab Köln und Frankfurt/Hahn an an die Algarven-Metropole. www.ryanair.com
Von Düsseldorf fliegt auch die derzeit noch existierende Airline „Air Berlin“ nach Faro. www.airberlin.de
Und wer einen Zwischenstopp in Lissabon einlegen möchte, der nutzt am Besten die portugiesische Airline TAP http://www.flytap.com/
Zeitdifferenz
In Portugal gilt eine Zeitdifferenz von -1 Stunde gegenüber Deutschland
Reiseveranstalter
Pauschalreisen, Rundreisen oder auch eigenständige Hotelaufenthalte an die Algarve kann man zum Beispiel bei den Veranstaltern Thomas Cook und Neckermann Reisen buchen
https://www.thomascook.de und https://www.neckermann-reisen.de/
Restaurants
Auf der Ilha da Culatra isst man typisch einheimisch im Restaurant-Cafe Janoca direkt am Hafen.
Sehenswürdigkeiten
Eine Tour zu den Korkplantagen und eine Besichtigung der Kork-Verarbeitung lässt sich anschaulich unternehmen mit dem Veranstalter „Algarve Rotas“
http://algarve-rotas-alemao.webnode.pt/
Bootstouren in die Ria Formosa unternimmt man am besten mit dem Bootstour-Anbieter Passeios Ria Formosa www.passeios-ria-formosa.com
Diese Reise wurde durchgeführt mit freundlicher Unterstützung von Thomas Cook Touristik.
von Journeylist – Philip Duckwitz
Mitglied in der Vereinigung Deutscher Reisejournalisten (Journalistenkreis)
Mitglied im Deutschen Fachjournalisten-Verband (DFJV)
Internet: http://www.journeylist.de
Publiziert am: Sonntag, 06. November 2016 (5231 mal gelesen)
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