Von roten Pferden und braunen Bären
Brummte da nicht etwas hinter den Bäumen des dichten Fichtenwaldes, durch den ich gerade stapfe? Aber nein, es war sicherlich nur eine Hummel. Ein Braunbär wäre sicherlich lauter, gefährlicher und viel deutlicher sichtbar. Hier im schwedischen Dalarna gibt es mittlerweile wieder eintausend Bären, nachdem diese bis 1905 auf nur noch 150 Exemplare dezimiert waren, dank hohen Abschussprämien und Ausrottungszielen der vergangenen Jahrhunderte. Man kümmerte sich Anfang des letzten Jahrhunderts endlich um den Artenschutz und sorgte dafür, dass sich der Bärenbestand in den Wäldern Mittelschwedens wieder erholte. Heute finden auch wieder Bärenjagden statt, um die Population in einem überschaubaren Maß zu halten, erklärt mir Bärenführer Günther, ein deutscher Auswanderer, der als Ingenieur hierherkam, um an einem seit 1984 bestehenden Forschungsprojekt über die Bären Schwedens teilzunehmen.
So lausche ich den Worten des Braunbär-Experten und staune über die Erkenntnisse, die mir vermittelt werden, während ich durch Wald und Flur stapfe. Niemand scheint sich in der Gegend besser auszukennen als Günther, der mich und meine Gruppe zielgerichtet und sicher durch ein Moor in den nahegelegenen Wald führt, den ich durch ihn auch trockenen Fußes erreiche.
Der Bär ernährt sich über das Jahr von ganz unterschiedlichen Dingen, die der Wald so zu bieten hat. Sind es im Frühling vor allem Elche, Stockameisen, auch Kadaver und Krähen- und Preisselbeeren, so stehen im Sommer vor allem Elchkälber, Nagetiere, Pferdeameisen und Kräuter auf dem Speiseplan. Den Herbst verbringt der Braunbär vegetarisch mit Heidel-Krähen- und Preisselbeeren, bevor er sich zum Winter in sein Versteck in die Winterruhe begibt. So ein Versteck kann zum Beispiel ein ehemaliger Ameisenhaufen sein, in den sich der Bär hineingräbt und dort erstaunlich viel Platz findet. Bärenführer Günther zeigt uns ein ehemaliges Bärenquartier und ich bin erstaunt, wie groß so ein Bau ist. Schlafen wird der Braunbär nicht, er ruht und fährt dann seinen Kreislauf herunter auf ein Minimum.
Spannend, denke ich, so ein Bärenleben, vor allem, weil trotz der Winterruhe die Bärenmutter genau in dieser Zeit ihre Jungen zur Welt bringt, die erst um den 15. April herum, wenn die Winterruhe vorbei ist, das Licht der Welt erblicken. Welch eine Intelligenz der Bär haben muss erklärt mir Günther an zahlreichen Beispielen, während wir durch Busch und Baum streifen.
Ein mannshoher Ameisenhaufen erhebt sich aus dem Laub, es lebt und wimmelt auf diesem Hügel. Genau das ist im Frühjahr die Nahrung des Bären – und dessen Badewanne. Wie bitte, denke ich bei mir, das kann doch kaum sein? Aber tatsächlich ist die Säure der Ameisen so scharf, dass sie Parasiten aller Art tötet. Und daher wälzt sich der Bär kräftig im Ameisenhaufen und entledigt sich so aller Ungeziefer, die sein dichtes Fell befallen. Clever, denke ich mir, die Natur bietet alles.
Jeder Bär bekommt ein Halsband umgelegt, damit die Forscher ihn wiederfinden und wissen, wo er ist. Dazu wird der Bär kurz betäubt und ihm das ungefährliche Lederhalsband mit technologisch hochgerüstetem Empfänger angelegt. Dann wird es mystisch, als Günther mir von den Erlebnissen mit Bären aus seinen Wäldern erzählt. Nicht selten ortet man Bärinnen mit ihren Jungen ganz in der Nähe von Menschen, aus dem einfachen Grund, dass eine Bärenjagd nie in der Nähe von Häusern stattfindet. Der Bär lernte dies und begab sich daher genau dorthin.
Unglaublich ist eine andere Geschichte, die mir zu Ohren kommt. So hat man einmal eine Bärenmutter gefunden, die mit ihren Jungen in einen Unfall mit einem Zug kam. Zwei ihrer Jungen starben, was die Bärenmutter tat, verschlägt mir die Sprache. Sie begrub die toten Bärenkinder, ganz so wie es Menschen tun würden, in der Nähe der Bahnlinie. Fast wie eine Kultur scheint es, was muss der Bär für eine Intelligenz haben, dass er zu so etwas in der Lage ist. Respekt breitet sich aus bei meiner Gruppe, wer hätte gedacht, dass dieser braune Zottel gar nicht nur ein futtersuchendes Raubtier in den Wäldern ist, sondern tatsächlich über eine derart hohe Intelligenz verfügt?
Stundenlang könnte ich Günther und seinen Bärenerlebnissen lauschen, die wissenschaftlichen Erkenntnisse, aufbereitet mit praktischen Erlebnissen und einer sachkundigen Führung durch die Wälder, in denen man tatsächlich Bären treffen kann, aber lieber nicht antrifft, erzeugen nicht nur bei Kindern, sondern auch bei abenteuerlustigen Erwachsenen für eine ungeheure Spannung, die dieses Tour in den Wäldern rund um den Ort Orsa in Dalarna so interessant machen.
Anschauen kann ich mir den Braunbären, aber auch zahlreiche seiner Verwandten dann im Orsa-Bärenpark aus sicherer Entfernung hinter Gittern, denn eine Begegnung mit einem Bär in den Wäldern verläuft meistens nicht sehr glücklich für den Menschen.
So treffe ich im Orsa-Park neben dem Kollegen Braunbär und seinem knuddeligem Nachwuchs auch seltene Kamtschatka-Bären, Kodiak-Bären, auch ein Eisbär gibt sich dort die Ehre. Und damit es nicht zu bärig wird, hat man auch Tiger, Luchse und Leoparden aufgenommen, um dem Besucher Abwechslung zu bieten.
Einen anderen Bewohner der Wälder suche ich in diesen Tagen vergeblich. Ist doch der Elch, oder Moose, wie er in Schweden genannt wird, eines der Nationaltiere dieser Tage, so scheint er mir trotz intensiver Suche verborgen zu bleiben. Kreuz und quer fahre ich in der Dämmerung durch die Wälder, achte auf die Zeichen, an denen man die Elchspuren erkennen kann – etwa abgefressene Äste junger Bäume, vor allem auf kahlgeschlagenen Lichtungen – und treffe dennoch nur auf Hufabdrücke dieses scheuen Tieres. Ich höre Geschichten über Elch-Begegnungen, von seltenen, weißen Elchen, von solchen die in Unfälle verwickelt sind oder in Gärten Tulpen stehlen. Der Unmut, dass ich nun keines dieser Tiere mit seinen schaufelartigen Geweihen sehe, wächst. Was war geschehen? Wo sind die Tiere dieses Waldes? Die Antwort finden wir untwerwegs. Es ist Bärenjadgzeit und eine Gruppe norwegischer Bärenjäger sitzt mitten im Wald um das Lagerfeuer herum. Sie haben noch keinen Bären gefunden, aber schon mit ihren Hunden den ganzen Wald durchkämmt – und damit das ganze Wild vertrieben.
Doch dann fährt es plötzlich wie der Blitz durch meine Augen. War da nicht etwas braunes unterhalb der Straße im sumpfigen Grün zwischen den Bäumen? Tatsächlich – auf den ersten Blick kaum zu erkennen stehen hinter einem Baum geschützt zwei kleine Elche. Sie wittern mit ihrer untrüglichen Nase den Menschen sofort und suchen das Weite. Aber, ich kann an diesem Abend stolz erklären, auch ich hatte mein schwedisches Elch-Erlebnis – wenn auch nur ein Kleines.
Mehr Erfolg habe ich mit dem dritten Tier um Bunde, der in den Wäldern Schwedens vor allem an Flüssen in der Nähe der Menschen auftritt. Der Biber, manchem ein Ärgernis, weil er ein Damm-Baumeister seiner Art ist, so ist er doch ein seltener Gast geworden in Schweden. Und das weil er nur das tut, was in seiner Natur liegt. Er baut Dämme, staut Wasser und fängt Fische darin. Darum ist er zum Abschuss frei. Um so mehr freue ich mich, dass ich in einer entspannenden Kanu-Fahrt in den Abendstunden mit dem Biber-Experten Per Marthansin der Gegend um den Ort Rättvik gleich drei Biber entdecke. Ins Wasser platschend und von einer Holzbrücke springend oder schwimmend und abtauchend sehe ich die Tiere in ihrem Element. Wie ein Dschungel-ähnlicher Mangrovenwald muten die engen Wasserwege mit den links und rechts herabhängenden Baumwipfeln an, als ich mit dem Kanu fast lautlos durch den Abend rudere. Mit Biber-Fachmann Per voran fällt es mir viel leichter, die Tiere auch im Halbdunklen noch zu entdecken.
Da fehlt mir eigentlich nur noch das Tier, dass zum Symbol Schwedens geworden ist. Ein rotes Pferdchen, das Dalapferd. Es ist nicht scheu und für jedermann zu haben. Denn es ist aus Holz geschnitzt und typisch nicht nur für die Region Dalarna, sondern inzwischen für ganz Schweden. Erstmals 1939 auf der Weltausstellung in New York als Symbol Schwedens präsentiert, reichen die Wurzeln dieser Schnitz-Tradition bis ins 17. Jahrhundert und geht auf geschnitztes Holzspielzeug zurück, das die Einwohner der Gegend in den langen Winternächten anfertigten, als kalte Witterung und Dunkelheit kaum andere Arbeiten zuließen. Der Überlieferung nach kam im Zuge der Erschließung Schwedens Nordens irgendwann die Holzschnitzerei aus Småland in die Dalarna. Liebevoll mit traditionellen Mustern bemalt hat heute jede Stadt in Dalarna „ihr“ Pferd in eine anderen Farbe. Und so sehe ich mir in Nusnäs, dem traditionellen Ort der Dalapferd-Schnitzkunst bei Nils Olsson in der Museums-Manufaktur an, wie aus einem Stück Kiefernholz ein fertiges Pferd entsteht, das Groß und Klein verzückt. Da erfahre ich zunächst, dass man nicht jede Kiefer verwenden kann, um daraus Pferdchen zu machen. An der Laubsägemaschine werden die Rohlinge geschnitzt, die dann in nur einer Stunde vom erfahrenen Schnitzer rund und geschmeidig gemacht werden mit einem Schnitzmesser, so dass sie tatsächlich eine ansehliche Form gewinnen. Dann geht’s in die Färberei. Erst mal grundiert, dann rot lackiert und zuletzt in nur 30 Minuten verziert mit Ölfarben in traditionellen Mustern mit Sattel und Zaumzeug. Dieses Rot der Pferde, das heute knallig und auffallend ist, war früher eher ein kupferfarbenes Rotbraun.
Und diese Kupferfarbe treffe ich allerorts an den Häusern der Region wieder, die traditionell in diesem Farbton gehalten sind. Der Grund liegt in Falun. Die Kupferminen-Stadt mit der „Falun-Gruva“, heute ein Museum aber bis 1992 ein aktives Bergwerk. Das sehe ich mir an. Denn der Kupfer-Abbau in der Region Dalarna hat nicht nur Tradition, er ist kennzeichnet die Region markant durch seinen Farbton. Kein Wunder also, dass die Farbenfabrik neben der Kupfermine noch arbeitet und Lacke produziert.
Kalt und unheimlich treten mit die engen, niedrigen Gänge entgegen, als ich hinabsteige und meiner Gästeführerin Johanna Nybelius folge, die bezeichnender Weise ein kräftig rotes Schopfhaar trägt. Während ich durch die engen Stollen stapfe, auf jeden Schritt achte, lausche ich Johannas Ausführungen, erfahre viel über die Technik des Kupferabbaus und höre die unglaubliche Geschichte des Fet Mats, einem Bergmann, der unter Tage in diesem Bergwerk starb.Am 2. Dezember 1719 wurde damit begonnen, Erz in einem Teil des Bergwerks, der für längere Zeit brach gelegen hatte, abzubauen. Plötzlich stieß man auf eine männliche Leiche, die da noch nicht lange gelegen haben konnte, weil der Körper immer noch weich war. Unter den Bewohnern von Falun entstand großes Aufsehen, als die Leiche, die alle sehen wollten, hinaufgebracht wurde. Aber niemand kannte sie und seit vielen Jahren war kein Grubenjunge mehr als vermisst gemeldet worden. Dann aber hörte die alte Frau Margareta Olsdotter von dem Fundund, wusste sofort dass es sich um ihren Verlobten Mats handelte, der zu ihr zurückgekehrt war und sie erkannte den jungen Mann auch auf Anhieb, obwohl er 40 Jahre lang unter der Erde gelegen hatte. Die Luft und die Mineralien hatten ihn konserviert. 42 Jahre zuvor hatten sich die Wege des Paares jäh getrennt, als Mats verschwand, obwohl er mit Margareta verlobt war. Fet Mats wurde dann in geweihter Erde begraben. Heute kann das Grab auf dem Friedhof an der Kirche von Stora Kopparberg besuchen.
Viel spannender als die Fakten über das Bergwerk ist diese Geschichte, der ich gespannt unter Tage lausche und die mich nachdenklich stimmt, ob ihres romantischen Charakters.
Rotes, Wildes, Hölzernes, Wässeriges und Traditionelles, aber niemals etwas Langweiliges begegnete mir bei meiner Rundreise durch die Region Dalarna. Hier kann man Sommers wie Winters etwas erleben, dass einen beeindruckt, mitnimmt, hineinzieht und begeistert. Die offene Art der Menschen, die Gastfreundlichkeit und die Fröhlichkeit in der Region aus Wäldern, Seen und wilden Tieren, die Naturverbundenheit und das ursprüngliche Landleben – das ist es was dalarna ausmacht und den Reisenden begeistert. Mehr als ein Besuch ist notwendig um die Gegend kennenzulernen, ein Moment reicht aus, um sie zu lieben.
Kurz notiert
Wie kommt man hin:
Die Region erreicht man entweder mit dem Auto und der Fähre von Deutschland aus, oder alternativ mit dem Flugzeug über Stockholm und dann mit dem Hochgeschwindigkeitszug von Stockholm-Arlanda über Gävle nach Falun oder Rättvik.
Es wird empfohlen, sich ein Auto zu mieten vor Ort.
Unterkünfte:
Rättvik: Hotel Lerdalshöjden mit malerischem Blick auf den See:http://lerdalshojden.se
Orsa: Hier empfiehlt sich die Unterkunft im Orsa Grönklitt mitten in den Wäldern. Ein Park mit Ferienhäusern und Ferienwohnungen direkt am Orsa-Bärenpark
Bärenpark:http://www.orsabjornpark.se/
Restauranttipp in Fryksas bei Orsa: das Restaurant Smidgarden von Liselotte Länsman bietet eine excellente Küche in traditionellem Umfeld mit einem atemberaubenden Blick über die Gegend: www.smidgarden.se
Naturerlebnisse:
Rättvik: Mit dem Trapperservice von Per Marthans lässt sich viel erleben rund um Rättvik www.trapperservice.se
Bären-Exkursion mit Günter Schmidt in Orsa: http://www.orsabjornpark.se/
Sehenswürdigkeiten:
Kupfergrube Falun:http://www.falugruva.se/
Dalapferd-Manufaktur Nusnäs: http://www.nohemslojd.se/
Wissenwertes:
Fet Mats:http://www.falugruva.se/de/Welterbe-Falun/Welterbe-Falun/Fet-Mats/
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Internet: http://www.journeylist.de
Publiziert am: Dienstag, 02. September 2014 (3557 mal gelesen)
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