Kir Royal traf Eckart Witzigmann im Hangar 7 in Salzburg

 

…und unterhielt sich mit Ihm über Perspektiven

Im Ikarus, dem Restaurant im Kunst- und Eventareal Hangar-7 in Salzburg, das unter dem Patronat von E. Witzigmann steht, wird ein einzigartiges gastronomisches Konzept realisiert. Jeden Monat bestimmt ein anderer internationaler Spitzenkoch die Linie der Ikarus-Küche. Im Juni war es Horst Petermann, der in der Küche des Executive Chef, Roland Trettel, sein Können präsentierte. Petermann, dem Meister der innovativ-klassischen Cuisine mit mediterranen Einflüssen, hat es noch nie gereicht, allein den französischen Maitres nachzueifern. Längst ist er ihnen ebenbürtig, trägt er doch als einziger Schweizer neben Philippe Rochat den fast nur Franzosen vorbehaltenen Titel als „Membre de la Haute Cuisine de France“. Dass der Guide Michelin ihm den dritten Stern verleiht, ist wohl nur noch eine Frage der Zeit. Horst Petermann jedenfalls hat Geduld –das nötige Können sowieso.

Weilacher - Witzigmann im Hangar7

P.Weilacher, E.Witzigmann, Petermann, G.Weilacher

  1. KirRo: Sie haben einmal gesagt: „Essen und Trinken ist die Grundlage für Vernunft und Gemeinschaft“! Seit mehr als 35 Jahren „predigen“ Sie, dass gute Produkte das A und O für gesunde Ernährung und köstliche Speisen sind. Seit vielen Jahren kämpfen Sie dazu schon an der Aufklärungsfront. Wir erleben eine Zeit des Wertewandels. Können Sie sagen, dass sich das Thema LEBENSMITTEL gesellschaftlich verbessert hat, wo sehen Sie besonderen Fortschritt, wo gibt es noch viel zu tun?

EW: Das mit dem Prediger stimmt. aber meist komme ich mir vor wie der Prediger in der Wüste. Manchmal habe ich den Eindruck, insbesondere im Hinblick auf die zahlreichen TV-Kochsendungen, gesunde Ernährung und einwandfreie Produkte sind ein beherrschendes Thema, aber die Realität auf den Tellern sieht leider anders aus. Sicher gibt es heute landauf, landab ein breit gefächertes und Qualitativ hochwertiges Lebensmittelangebot. Trotzdem erreichen, die Verkaufszahlen von Tiefkühl- und Fertigprodukten nahezu monatlich neue Umsatzrekorde. Irgendwie klafft da eine Lücke zwischen Anspruch und Realität. Hinzu kommt, dass der deutsche Lebensmittelmarkt nur über den Preis funktioniert. Deutschland hat im europäischen Vergleich mit die günstigsten Preise. Und nachdem sich Qualität beim Produkt auch über den Preis definiert, herrscht hier ein riesiges Vakuum.

  1. KirRo: In England wird ab 2009 Kochen wieder als Pflichtfach in den Schulen eingeführt, in Deutschland gab es früher bereits die Hauswirtschaftsstunde. Sollen auch in Deutschland Kochen, Lebensmittelkunde und Schulgarten wieder Pflichtfächer werden?

EW: Das kann ich nur ohne jeden Vorbehalt unterstützen. Ich hoffe die verantwortlichen Politiker bekommen dieses Thema rasch auf die Agenda, meine volle Unterstützung ist garantiert.

  1. KirRo: Essen und Trinken haben ihre familien- und alltagsstrukturierende Funktion verloren. Schnelles „Essen“ dominiert die Privathauhalte und Firmen. Wie können wir uns, auch wenn es schnell gehen muss, doch für Qualität entscheiden? Was können wir unseren Kindern auf das Pausenbrot und in den Mittagkochtopf legen?

EW: Grundsätzlich ist es immer schwierig sich gegen einen weltweiten Trend zu stemmen, da ist man oft schneller isoliert und ausgesondert, als man glaubt. Schnell heißt ja nicht automatisch minderwertig. Ein Salat geht schnell und ist ein wertvolles Nahrungsmittel, es müssen ja nicht immer Fritten und Burger sein. Bei der Arbeit zu meinem Familienkochbuch habe ich festgestellt, dass Kinder durchaus eigenen Geschmack und Vorlieben haben, es wäre also ein Fehler hier diktatorisch auf die Kinder einzuwirken. Da muss man sie langsam hinführen, mit Druck geht da gar nichts.

  1. KirRo: Sie haben schon wiederholt darauf hingewiesen, dass gute Produkte auch meist teuer sind – welche Möglichkeiten hat der Otto-Normalkoch zwischen Discounter und VIKTUALIENMARKT leistbare Qualitätsprodukte zu erwerben?

EW: Ich glaube, da muss man zuallererst mal eine grundsätzliche Zäsur machen. Exzellente Produkte kosten mehr als der Durchschnitt. Und wenn ich mir das zwar leisten möchte, aufgrund der finanziellen Gegebenheiten aber nicht kann, ist diese Diskussion schnell beendet. Anders stellt es sich dar, wenn ich mir das gute Produkt leisten könnte. aber lieber den Schnäppchen an der Ecke nachjage. „Geiz ist geil”, nichts dokumentiert eine grundsätzliche Geisteshaltung mehr als dieser Werbespruch. Mit Geiz bekomme ich aber keine hochwertigen Lebensmittel auf den Teller. Die Benzin-, Gas- und Energiepreise steigen rasant, bei den Lebensmitteln feilscht man um zwei Stellen hinter dem Komma. Für den Preis von zehn Litern Superbenzin kann ich heute ein formidables Abendessen auf die Beine stellen. Mich beschleicht nur leider der Eindruck, dass weit und breit niemand zehn Liter weniger tankt um für was Vernünftiges auf den Tisch zu bringen. Dann tut es eben auch ein Burger für 99 Cent.

  1. KirRo: Wir leben in Regionen, in denen die Natur das hervorbringt, was wir in den jeweiligen Jahreszeiten dringend benötigen und gut verwerten können. Die Lobby für regionale Produkte ist bereits sehr groß. Andererseits ist es oft noch unpopulär, auch seitens der Köche in den Fernsehshows und Kochbüchern, Gerichte mit Zutaten wie Weißkraut, Sellerie oder Renke zu zelebrieren. Die Zutaten sind meist exotisch und von weit her. Wie wäre es mit Blutwurst auf Champagnerkraut?

EW: Ich will jetzt nicht kleinlich erscheinen, aber der Champagner zum Kraut anstatt eines Rieslings ist bei uns auch kein regionales Produkt, aber wir müssen die politische Correctness jetzt nicht übertreiben. Prinzipiell glaube ich, dass die kurzen Wege beim Produkt immer wichtiger werden und in zehn Jahren wird der größte erreichbare Luxus sein, wenn ich den Produzenten meiner Lebensmittel persönlich kenne. Unabhängig davon ist die regionale Küche auf dem Vormarsch, da hat ein deutliches Umdenken stattgefunden. Und lassen sie sich da nicht vom Fernsehen täuschen, was da gekocht wird, ist weder stil- noch geschmacksbildend.

  1. KirRo: Immer mehr landwirtschaftliche Flächen in Deutschland werden stillgelegt und Bauerhöfe schließen. Andererseits wird das Angebot in den Geschäften immer internationaler. Der Bauer am Stadtrand bekommt seine Ware nicht in den Lidl. Tante Emma-Läden gibt es kaum noch. Bauernmärkte gibt es nicht in jeder Stadt und bieten auch nicht die nötige Existenzsicherung. Wie bekommen wir die Region wieder verstärkt in den Laden und in den Kochtopf?

EW: Wir können die auf Hochtouren laufende Globalisierung weder aufhalten noch zurückdrehen, soviel Realismus sollte sein. Die Logistik der Großanbieter ist das eine, die Produkte der kleinen Anbieter vor den Toren der Stadt das andere. Da müssen sich Anbieter und Konsumenten auf der Mitte der Brücke treffen, da müssen Verbraucher und Produzent aufeinander zugehen. Aber unter der herrschenden Prämisse, dass Lebensmittel eben möglichst billig sein sollen, werden da die Bäume nicht in den Himmel wachsen. „Form follows function“ heißt ein Schlagwort beim Design, bei den Lebensmitteln gilt offensichtlich „quality follows price“.

  1. KirRo: Unsere heutigen Gärten dienen der Zierde. Wir pflanzen Thujen statt Apfelbäume und Buchs oder Zypressen statt Stachelbeeren. Wie bekommen wir diese wertvollen Naturerleben(nis)smittel wieder in unser Bewusstsein?

EW: Diese Frage müssten Sie auch den Bauordnungsämtern der deutschen Städte stellen. Wenn Anpflanzungen nur bis zu einer Höhe von einem Meter genehmigt werden, wird das schwer mit den Obstbäumen am Reihenhaus. Aber ganz so eng sehe ich das nicht. Wenn ich Natur erleben will oder soll, brauche ich nicht zwingend einen eigenen Garten dazu. Und da sollte auch jeder nach seiner eigenen Facon selig werden und das anpflanzen nachdem ihm der Sinn steht. Die Geschichte vom anzupflanzenden Apfelbäumchen ist ein Emotionswert der deutschen Klassik, da weht der Wind heute ein bisschen anders.

  1. KirRo: Kaufen wir heute zu sehr mit den Augen? Oder anders gefragt, haben Produkte vom Bauern nicht häufig einen optischen Nachteil gegenüber „gestylten“ Produkten aus dem Treibhaus?

EW: Der Spruch vom mitessenden Auge ist existent und nicht abzuschaffen. Also hat es schon Gewicht, wie das Produkt meiner Begierde denn aussieht. Ich glaube, dass es da keinen Automatismus gibt, der bedeutet, die Erzeugnisse vom Bauern seien nicht so attraktiv wie Produkte aus dem Treibhaus. Ich halte auch Treibhäuser für nichts Sittenwidriges, die sind doch entstanden um unsere launischen Wetterbedingungen etwas zu überlisten. Da macht mir der Fortgang genmanipulierter Nahrungsmittel wesentlich mehr Kopfzerbrechen, denn hier besteht die Gefahr, dass das hübsche Aussehen bisher unbekannte Risiken birgt.

  1. KirRo: Wie ein Komponist haben Sie mit Ihren Gerichten immer wieder neue „Melodien“ kreiert. Können Sie Tipps geben für Menschen, die nicht den „Absoluten Geschmack“ haben, in der eigenen Küche gern ihren Gaumen schulen und damit zu interessanten, g`schmackigen Kombinationen kommen möchten?

EW: Das mag jetzt etwas platt klingen, aber da macht auch nur Übung den Meister und ohne große Geduld passiert da leider nichts. Ein Klavierschüler beginnt ja auch nicht sofort mit Chopin, sondern hangelt sich erstmal die Czerny-Etüden hoch. Riechen, schmecken, essen sollte so oft wie möglich geübt werden, nicht umsonst fordere ich seit mehr als fünf Jahren Geschmacksunterricht an deutschen Schulen. Da kann ich Ihnen eine kleine Geschichte aus der Praxis erzählen: Ich bin Professor an der Universität im schwedischen Örebro. Da werden regelmäßig die Geschmacksnerven der Studenten getestet. Das beginnt mit einer so einfachen Disziplin wie sauer und süß unterscheiden zu lernen. Glauben Sie mir bitte, das ist unendlich schwer.

  1. KirRo: Sie haben in vielen Ländern der Welt in die Töpfe geschaut, von welcher Küche können wir am meisten lernen?

EW: Man kann von jeder Küche etwas lernen! In meiner Jugend wurde ich natürlich durch meine Lehrmeister Haeberlin und Bocuse in Bezug auf die französische Küche geprägt. Durch meine 13-jährige „Wanderschaft“ habe ich in viele internationale Töpfe, angefangen von der Schweiz über Belgien und Schweden bis hin nach Amerika schauen dürfen und durch viele Reisen kann ich mit Fug und Recht sagen, dass ich der ganzen Welt in die Töpfe geschaut habe. Durch unser einmaliges Konzept im Restaurant IKARUS im Hangar-7 (www.hangar-7.com) des Salzburger Flughafens, dessen Patron ich bin, holen wir nun, Monat für Monat die Welt nach Salzburg, indem wir internationale Spitzenköche einladen, für einen Monat dort zu kochen. Jeden 1. eines Monats findet dann der Gastkochwechsel statt und ich freue mich immer sehr, vielleicht von einem Kollegen oder einer Kollegin noch etwas zu erfahren, was selbst ich noch nicht wusste. Ich bin wie ein Schwamm, der alles aufsaugt, wenn es ums Kulinarische geht, aber nicht nur dort, das mach ich eigentlich bei allen Dingen, die mich interessieren.

Am meisten Furore hat in den letzten 10 Jahren wohl der Spanier (Preisträger des Eckart-Witzigmann-Preises der Akademie für Kulinaristik 2005) Ferran Adria mit seiner avantgardistischen Küche gemacht, die ganz neue Dimensionen eröffnete. Frage: Aber ist sie besser?

Ich bin seit Jahrzehnten fasziniert von der Thai-Küche. Hier hinterlässt keine Revolution wie in China oder keine englische oder französische Kolonialherrschaft ihre Schatten oder Einflüsse. Die Thai-Küche ist für mich die Authentischste von allen in Asien. Ich könnte jetzt noch stundenlang weiter erzählen, denn auch bei der Gewürzvielfalt des Vororients komme ich aus dem Schwärmen nicht heraus.

KIrRo: Wenn man täglich so viel erlebt, macht, aufnimmt. Immer wieder an neuen Orten ist, andere Menschen kennenlernt. Unterschiedlichste Eindrücke in kürzester Zeit verarbeiten muss. Gibt, nimmt, anstößt, bewirkt, (vorerst) nicht bewirkt. Was bleibt, was ist für Eckhart Witzigmann. die Essenz?

E.W Ich gehöre zu den Anhängern der These, dass jeder verantwortlich ist für sein Tun. Ich halte nichts davon, die Schuld immer auf andere zu schieben und sich damit aus der Verantwortung zu stehlen. Am Ende des Tages muss ich beim Blick in den Spiegel mit mir selbst im Reinen sein. Wenn mein Name vorn draufsteht, sollte auch hinten ein Mindestmaß an Leistung und Zufriedenheit vorhanden sein. Damit setze ich mich zwar permanent persönlich unter Druck, ich muss mir aber nicht vorwerfen lassen oder mir selbst den Vorwurf machen nicht professionell zu handeln. Zunehmend kommt man sich mit so einer Haltung manchmal etwas einsam vor, gerade in einer Zeit, in der laufend suggeriert wird, wie einfach doch alles geht, vor allem beim Kochen. Diese Leichtigkeit des Seins war nie mein Ding, dafür liebe ich meinen Beruf aber auch meine Gäste viel zu sehr. Wenn man das, was man tut ernst nimmt, kann man nicht anders. Alles andere empfinde ich für nicht aufrichtig.

Ich danke Ihnen, das war wirklich ein sehr interessantes Gespräch!

KirRo: Vielen Dank Herr Witzigmann, für das lebendige Gespräch.